Kriterien der Abgrenzung Selbständige oder Scheinselbständige Werkvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung

Die Abgrenzung zwischen einem selbständig Tätigen und angestelltem Mitarbeiter (Scheinselbständigen) einerseits sowie Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung (AÜ) andererseits erscheint auf den ersten Blick einfach zu sein. In der Praxis stößt die Abgrenzung jedoch auf erhebliche Probleme mit zum Teil weitreichenden Folgen für die Betroffenen. Dabei stellen sich die Abgrenzungsfragen zur Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit sowie Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung sehr häufig. Die Sozialkassen sind geradezu darauf fixiert, angeblich Scheinselbständige ausfindig zu machen. Das Gleiche gilt hinsichtlich der aufgrund Werkvertrages tätig werdenden Arbeitnehmer.

Folgender Ausgangsfall mag die Probleme verdeutlichen:

Von Seiten eines Großunternehmens werden zahlreiche Werkunternehmer mit dem Bautenschutz sowie der Aufrechterhaltung der technischen Infrastruktur beauftragt. Das Unternehmen ist so groß, dass viele Handwerksunternehmen ganzjährig, teilweise mit mehreren Mitarbeitern, zum Einsatz kommen. Auch Einzelunternehmer kommen auf dem Gelände zum Einsatz.

Das Unternehmen beschäftigt im Rahmen des sogenannten „Facility Managements“ aber auch eigene Mitarbeiter mit der Wartung der Technik und der Gebäude. Es werden also neben eigenen Mitarbeitern auch Selbständige und Mitarbeiter selbständiger Werkunternehmer tätig, die nur durch ihre jeweils unterschiedliche Berufskleidung optisch unterschieden werden können.

Wir können die Sache noch weiter verkomplizieren und davon ausgehen, dass im Rahmen des „Facility Managements“ das Unternehmen sich von Verleihfirmen Mitarbeiter ausleiht, die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung zum Einsatz kommen.

Auf Grund der äußerlich geringen Unterscheidbarkeit stellt sich die Frage, wer ist was und warum, und wie kann man das erkennen? Wer ist Mitarbeiter, wer ist Leiharbeitnehmer, wer ist Selbständiger und wer ist Mitarbeiter eines externen (Werk-)Unternehmens?

I. ABGRENZUNG SELBSTÄNDIGER ZU MITARBEITER (SCHEINSELBSTÄNDIGER)

In § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB wird der Begriff der Selbständigkeit dahingehend definiert, dass selbständig ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Daraus kann geschlossen werden, dass nicht selbständig derjenige ist, der dies gerade nicht kann.

§ 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ist in der Rechtsprechung ein wichtiges negatives Kriterium für die Bestimmung der Arbeitnehmerschaft.

Weiter heißt es in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG:

„Arbeitnehmer ist, wer in die Arbeitsorganisation eines anderen Unternehmens eingegliedert ist und den Weisungen dieses Unternehmens unterliegt“.

Aus § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB kann gefolgert werden, dass der Bestimmung des Grades der persönlichen Abhängigkeit besondere Bedeutung zukommt. 

Die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation ist Wesensmerkmal der persönlichen Abhängigkeit und zeigt sich daran, dass der Beschäftigte dort dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

Daraus wird im Umkehrschluss gefolgert, dass kein Arbeitnehmer ist, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und frei seine Arbeitszeit bestimmen kann (BAG vom 22.08.2001).

Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen (BAG vom 22.08.2001, 5 AZR 502/99, NZA 2003, 662).

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (Bundesarbeitsgerichtes) ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.

Das Arbeitsverhältnis sei ein auf den Austausch von Arbeitsleistung und Vergütung gerichtetes Dauerschuldverhältnis. Die vertraglich geschuldete Leistung sei im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation zu erbringen. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeige sich insbesondere daran, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Arbeitnehmer ist also im Gegensatz zum Selbständigen derjenige, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (Bundessozialgerichtes) setzt eine abhängigeBeschäftigung als Arbeitnehmer voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängigist.

Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale, – nach Auffassung der Gerichte -, überwiegen; BSG-Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 25/10R Rdnr. 15; BSG-Urteil vom 30.04.2013, B 12 KR 19/11R Rdnr. 13, BSG-Urteil vom 30.10.2013, B 12 KR 17/11R Rdnr. 23, BSG-Urteil vom 31.03.2015, B 12 KR 12/13R Rdnr. 15, BSG-Urteil vom 19.08.2015, B 12 KR 19/14R Rdnr. 19, jeweils m.w.N.

Ausschlaggebend ist der Umfang der persönlichen Freiheit oder umgekehrt der Umfang der Abhängigkeit bei der ausgeübten Tätigkeit. Dabei kommt es darauf an, ob Ort und Zeit der Tätigkeit vorgegeben oder frei wählbar sind, ob der Einzelne über seine Tätigkeit Rechenschaft ablegen muss oder ob er sich in die Organisation eines anderen eingliedern muss.

Abgrenzungskriterien sind mithin die Weisungsgebundenheit, der Grad der Selbständigkeitund der Arbeitsplanung, der Grad der persönlichen Unabhängigkeit bei der Gestaltung und Ausübung der Arbeit. 

Die Kasuistik zum Themenbereich der Abgrenzung der selbständigen Tätigkeit von der abhängigen Beschäftigung ist kaum überschaubar. Neben dem Bundesarbeitsgericht hat sich auch das Bundessozialgericht mit der Thematik befasst. Denn die Unterscheidung betrifft nicht nur das Arbeitsrecht, sondern auch das Sozialrecht.

Trotz der einleuchtenden Unterscheidungskriterien kann die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmereigenschaft und Selbständigkeit zu Problemen führen. Eine falsche Beurteilung hat in der Regel unvorhergesehene und ungewünschte Konsequenzen. Um diesen vorzubeugen, können die Parteien bei den Sozialträgern Statusfeststellungsverfahren führen, wenn die Parteien denn diese Möglichkeit überhaupt kennen.

Unerheblich ist stets, welche Bezeichnung die Parteien für das Vertragsverhältnis wählen.

II. ABGRENZUNG WERKVERTRAG – ARBEITNEHMERÜBERLASSUNG (FREMDPERSONALEINSATZ)

Bei der Abgrenzung von Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung begegnen einem die gleichen Probleme wie zuvor bei der Abgrenzung von Selbstständigkeit und Scheinselbständigkeit bzw. abhängiger Beschäftigung.

Im Falle eines Werkvertrages wird der Werkunternehmer für einen anderen tätig und organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolges notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen. Er bleibt für die Erfüllung der im Vertrag vorgesehen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werkes gegenüber einem dritten Unternehmen verantwortlich.

Die zur Ausübung des Werkvertrages eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Werkunternehmers.

Der echte Werkunternehmer erzielt mit eigenen Leuten im eigenen Betrieb ein wirtschaftliches Ergebnis, das er an den Auftraggeber „verkauft“. Er überlässt also kein Personal an den Auftraggeber, sondern ein Werk, das es herzustellen gilt.

Die zur Ausführung des Werkvertrages eingesetzten Mitarbeiter unterliegenden Weisungen des Werkunternehmers. 

Im Falle der Arbeitnehmerüberlassung werden Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung einem Dritten, dem Entleiher, überlassen, wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG).

Eine solche Überlassung von Arbeitnehmern an einen Dritten, dem Entleiher, ist zulässig, wenn der Entleiher eine diesbezügliche Erlaubnis besitzt (§ 1 Satz 1 AÜG).

Von der Arbeitnehmerüberlassung abzugrenzen sind diejenigen Arbeitnehmer, die aufgrund eines Werkvertrages oder Dienstvertrages tätig werden

Eine Eingliederung in den Betrieb des Entleihers und damit Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn der Entleiher die Arbeitnehmer einsetzt. Indizien hierfür:

  • persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers von dem Arbeitgeber;
  • die Koordinierung der Tätigkeiten des Arbeitnehmers und des Betriebsablaufs durch den Entleiher;
  • die Ausstattung der Arbeitnehmer mit Materialien des Auftraggebers, insbesondere mit technischem Gerät, Werkzeug, Arbeitskleidung;
  • enge räumliche und zeitliche Zusammenarbeit von eigenem und fremdem Personal;
  • die Einweisung und Einarbeitung der Arbeitnehmer durch Mitarbeiter des Einsatzbetriebes;
  • fehlendes Erfolgsrisiko des Auftragnehmers und fehlende konkrete Beschreibung des Werkes.

Das Merkmal der Eingliederung ist vielschichtig und reicht vom Benutzen der Sanitäranlagen für Mitarbeiter bis hin zum Tragen von Firmenkleidung. Zwar muss die äußerliche Integration in die Organisation des Auftraggebers für sich genommen nicht zwangsläufig eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zur Folge haben, sie ist jedoch ein Indiz dafür, dass eine Unterscheidung zwischen der Belegschaft nicht gewollt ist. 

Werkverträge sind von außen oft kaum von dem Einsatz von Leiharbeitern zu unterscheiden, zumal wenn das geschuldete Werk auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers erbracht wird.

Es darf an dieser Stelle an den Eingangsfall erinnert werden. Enge, räumliche Zusammenarbeit zwischen dem eigenen und fremden Personal erhöht evident das Risiko eines Scheinwerkvertrages. Es ist daher tunlich, die Arbeitsprozesse beim Fremdeinsatz streng vom Arbeitsalltag des Auftraggebers zu trennen, auch wenn sich dies negativ auf den Arbeitsablauf auswirkt.

Entscheidend ist nicht die rechtliche Ausgestaltung von Verträgen, sondern die praktische Umsetzung. Auf jeden Fall sollte im Falle von Werkverträgen das zu erstellende Gewerk deutlich definiert und beschrieben werden, so dass der geschuldete Erfolg zweifelsfrei erkannt werden kann.

Sofern ein Werkvertrag / Dienstvertrag in der Praxis wie ein Arbeitnehmerüberlassungs-vertrag gelebt wird, handelt es sich um einen sogenannten Scheinwerkvertrag, der nach dem AÜG als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung behandelt wird.

Welches sind nun die Abgrenzungskriterien zwischen Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung? Hier einige Abgrenzungsbeispiele:

  • Vereinbarung eines konkreten werkvertraglichen Leistungsgegenstandes = Werkvertrag 
  • fehlende konkrete Beschreibung eines Werkes = Arbeitsnehmerüberlassung;
  • fehlendes Erfolgsrisiko des Auftragnehmers = Arbeitnehmerüberlassung;
  • Ausübung des Weisungsrechtes gegenüber dem Fremdpersonal = Arbeitnehmerüberlassung;
  • Erteilung inhaltlicher Anweisungen zur Konkretisierung des Leistungsgegenstandes = Arbeitnehmerüberlassung;
  • eigene Organisation der zur Erreichung des Vertragszieles notwendigen Vertragsabläufe = Werkvertrag;
  • Zusammenarbeit von Arbeitnehmern der Fremdfirmen und Stammbelegschaft = Arbeitnehmerüberlassung;
  • Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers = Arbeitnehmerüberlassung;
  • Einsatz von Fremdpersonal innerhalb eines vereinbarten Leistungsgegenstandes = Werkvertrag;
  • Übernahme des eigenen Unternehmerrisikos = Werkvertrag;
  • Vereinbarung von Haftungsregeln = Werkvertrag;
  • Art der Vergütung, kommt drauf an 
  • örtliche Einbindung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers = Arbeitnehmerüberlassung;
  • ausschließlich persönliche Leistungserbringung = Werkvertrag

Die Entscheidung, ob Werkvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, erfolgt aufgrund einer Gesamtbetrachtung des Vertragsverhältnisses.

Kommt man bei einer Gesamtbetrachtung dazu, dass es sich um Arbeitnehmerüberlassung handelt und nicht um einen Werkvertrag, so ist die entscheidende Frage, ob es sich um eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung handelt, oder ob eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.

Handelt es sich um eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung, haben die Parteien also nicht berücksichtigt, dass ihr Vertragsverhältnis Arbeitnehmerüberlassung ist, so ergeben sich folgende Konsequenzen und rechtliche Probleme:

  • Der (Schein-)Werkvertrag ist nichtig.
  • Der Arbeitsvertrag zwischen dem vermeintlichen Werkunternehmer und dem Arbeitnehmer ist ebenfalls nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a) AÜG nichtig.
  • Der überlassene Mitarbeiter wird kraft Gesetzes gem. § 10 Abs. 1 AÜG mit allen daraus resultierenden Ansprüchen Arbeitnehmer des Entleihers.
  • Zusätzlich greifen Ordnungswidrigkeitstatbestände für den Verleiher und den Entleiher (§ 16 Abs. 1 AÜG). Dabei ist auch ein Verstoß gegen eine Falschbezeichnung des Vertrages nach § 16 Abs. 1 Nr. 1b) – e) AÜG bußgeldbewehrt.
  • Insbesondere bei Lohndifferenzen kann auch eine Straftat des Entleihers wegen Beitragshinterziehung gem. § 266 a) StGB gegeben sein.
  • Es sind rückwirkend die Sozialversicherungsbeiträge nach dem im Sozialversicherungsrecht geltenden Entstehungsprinzip zu zahlen, und zwar auf der Grundlage der Löhne des Einsatzunternehmens (Entleihers).